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Wenn ...

(aus "Absurdes Glück")

 

Wenn die alte Buchwieser Anna damals am vierten Oktober das Gulasch nicht versalzen hätt, dann wär alles ganz anders gekommen.

Es war nämlich so: Das Salzfassl ist ihr aus den gichtigen Fingern gerutscht und mitten in den Topf gefallen, und sie, die blöde Buchwieser, hats einfach wieder herausgeholt und weitergekocht und hat keinem was gesagt. Hats einfach so serviert, das ungenießbare Gschlader, mit Nockerln, und die waren nicht einmal so schlecht. Aber die Nockerln haben, wie man so sagt, das Kraut auch nicht mehr fett gemacht, also ist der junge Herr Otto gleich nach dem ersten Bissen aufgesprungen und im Zimmer herumgehüpft und hat Grimassen geschnitten und sich die Hände vor den Mund gehalten, und dann ist er zum Fenster gelaufen, wie wenn er hinaus speiben möcht. Man kann ihm keinen Vorwurf machen, dem jungen Herrn Otto; er war erst sieben und ein bisserl verzogen, und das Gulasch hat wirklich grauslich geschmeckt. Draußen jedenfalls, auf dem Fensterbrett, ist eine Taube gesessen, und die ist natürlich vor lauter Schreck weggeflogen, wie der Bub den Kopf rausgestreckt hat. Die Taube ist also die Seilerstätte entlang bis zur Himmelpfortgasse geflogen, und gerade dort ist in dem Moment das junge Fräulein Hannah aus dem Haustor gekommen. Sie war auf dem Weg zum Naschmarkt, einkaufen gehen, aber plötzlich hat sie gespürt, wie ihr was auf den Kragen fällt, und das war die Taube, die dem Fräulein Hannah auf den Ballonmantel geschissen hat. Also hat sie sich geärgert und ist zurück in die Wohnung, um sich was anderes anzuziehen.

Wenn also die Buchwieser Anna damals das Gulasch nicht versalzen hätt, dann wär das Fräulein Hannah gleich weiter zum Naschmarkt gegangen. Und genau um drei Minuten nach zwölf wär sie die Akademiestraße hinunter und hätt an der Ecke Bösendorfergasse eine kleine Karambolage gehabt, einen Zusammenstoß mit einem Herrn in ihrem Alter.

 

„Mein Gott! Jetzt hab ich mich aber erschreckt ... Oje, da hab ich was angerichtet ...“

Sie schlägt die Hände vor den Mund. Starrt entsetzt auf die Blätter und Bögen, die verstreut im Straßenstaub liegen. Zeichnungen, Bilder sind darauf, nicht unbedingt eine Offenbarung, wie Hannah findet, aber über Kunst lässt sich bekanntlich ...

„Das tut nichts“, sagt der junge Mann mit der Mappe ausdruckslos. „Es ist Schund. Ich brauche sie nicht mehr.“

Er steht da, völlig steif, macht keine Anstalten, sich zu bücken, um seine Werke einzusammeln. Hannah tut es für ihn.

„Sagen’S doch nicht sowas ... Also ich find die Arbeiten ... gelungen ...“

Er schweigt. Nimmt die Blätter aus ihrer Hand und schiebt sie achtlos in die Mappe zurück.

„Ich will auch einmal etwas Künstlerisches machen ... Sie kommen doch von der Akademie, oder? Wie ist es dort so?“

Die Antwort kommt spät und sehr verbittert:

„Man will mich nicht.“

„Wie, man will Sie nicht?“

„Die Aufnahmsprüfung. Man hält mich für unbegabt ...“

„Das tut mir Leid ...“

„Danke. Entschuldigen Sie mich jetzt ...“

„Nein nein, Augenblick“, Hannah hält ihn mit sanftem Druck am Jackenärmel zurück, „so kommen Sie mir nicht davon. Was machen’S denn jetzt?“

„Nichts. Ich weiß nicht.“ Wieder schickt er sich zum Gehen an.

„Dann kommen’S. Begleiten’S mich doch ein Stück ...“

Sie gehen nebeneinander die Friedrichsstraße entlang und an der Secession vorbei. Der Zeit ihre Kunst. Der Kunst ihre Freiheit steht in großen Lettern über das Portal geschrieben.

„Wie heißen Sie denn?“, fragt Hannah, um ihren Begleiter auf andere Gedanken zu bringen.

„Hitler“, sagt Hitler. „Adolf“, fügt er hinzu, als er Hannahs belustigten Blick bemerkt. „Und Sie?“

„Hannah ... Hannah Neumann. Sie können Hannerl zu mir sagen.“

Hitler stutzt.

„Aber ... Das ist doch ... ein Judenname, oder?“

„Ja. Ein jüdischer Name. Wieso? Hat der Herr Adolf etwas gegen die Juden?“

„Selbstverständlich ... Ich meine, ich weiß nicht ... Was man so liest ...“

„Haben’S denn schon einen kennen gelernt?“

„Was?“

„Na, einen Juden?“

Hitler bleibt die Antwort schuldig. Hannah kann sich ein Schmunzeln nicht verbeißen. So ein Flegel, denkt sie im Stillen. Malen kann er nicht, Humor hat er auch keinen, und Charme ist ein Fremdwort für ihn. Überhaupt scheint er nicht der Hellste zu sein, aber so traurig und vergrübelt, wie er da neben ihr her stelzt, könnte man ihn fast schon wieder mögen. Er ist halt noch jung, sehr jung, der Herr Adolf ...

Die Einkäufe sind bald erledigt. Adolf Hitler und Hannah Neumann sitzen im Café Museum; Hannah nippt an einem kleinen Braunen, Adolf trinkt Bier.

„Das wird schon“, sagt Hannah, „Sie werden sehen: Morgen sieht die Welt ganz anders aus ...“

Adolf holt Luft, blickt zur Seite, wischt sich mit einer flüchtigen Handbewegung ein feuchtes Schimmern aus den Augen.

„Die Juden ...“, sagt er jetzt, ein wenig stockend. „Wenn die Juden nur ... alle so wären wie Sie, Fräulein Hannerl ...“

Es soll ein Kompliment sein, und Hannah versteht es.

„Sie sind mir aber ein ganz Gefährlicher“, meint sie lächelnd.

 

Eine Woche später ist Adolf Hitler bei den Neumanns zum Kaffee eingeladen. Hannah hat Bier für den Gast gekauft, die Mutter hat Kekse gebacken, nur der Vater, der alte Samuel Neumann, wirkt verdrießlich. „Nix wie Zores“, schimpft er vor sich hin. „A Goi muss sie uns schleppen an, das Kind, das meschuggene ...“

Seine Meinung wird sich auch später nicht ändern. im Gegenteil, sie wird sich festigen. „Oj, Gewalt!“, ruft Vater Neumann, sobald Hitler wieder aus dem Hause ist, „Was für a Schmock, a geschwollener!“

Aber es hilft nichts: Schon bald zählt der junge Herr Adolf zu den täglichen Gästen im Hause Neumann, sitzt wortkarg herum, isst, trinkt und zündet am Sabbath die Kerzen an. Eines Tages jedoch fasst er sich ein Herz, nimmt Hannah zur Seite und schlägt die Hacken zusammen. „Wäre bereit“, schnarrt er – die Fähigkeit des Flüsterns ist ihm nicht gegeben – , „dich zu ehelichen, Hannerl“.

„Ich frag meine Eltern“, sagt Hannah.

„Gott in Himmel!“, dringt wenig später die Stimme der Mutter aus dem Nebenzimmer.

„A Feuer soll ihm treffen, den Ganev, den miesen!“, lässt sich der Vater vernehmen.

Kurz darauf kehrt Hannah zu Hitler zurück. „Sie haben eingewilligt“, meint sie leise, „aber nur unter einer Bedingung ...“

Adolf reckt unwirsch das Kinn vor. „Und die wäre?“

„Du musst ... ein Jude werden ...“

 

So kommt es, dass sich Adolf Hitler von der Malerei abwendet, um sich einem völlig neuen Studium zu widmen. Er beginnt Hebräisch zu lernen, vergräbt sich verbissen in Talmud und Torah und lässt sich – wohl oder übel – beschneiden: Ein kleiner Schnitt nur für einen Menschen, ein gewaltiger für die Menschheit. Hitler nimmt den Namen Aaron an; bald sieht man ihn nur noch mit Kaftan und Kipah durch die Straßen gehen, und als er nach zwei Jahren endlich vor den Bet Din, das rabbinische Gericht, treten darf, um die zweite große Aufnahmsprüfung seines Lebens abzulegen, da reichen ihm die Pejes bis zum Kinn.

„Kuck ihm an, den Tocheslecker ...“, brummt Vater Neumann grimmig.

Nach langen Stunden des Wartens klingelt es an der Tür der Neumann’schen Wohnung in der Himmelpfortgasse. Hannah öffnet.

„Und?“ Sie sieht Aaron fragend an.

„Nu was?“, gibt Hitler zurück. „E Shaigitz bin ich gewejn. Aber itzt, mei Hartzele, itzt bin ich e Jid!“

 

Wenn also die alte Buchwieser Anna damals, im Jahr 1907, das Gulasch nicht versalzen hätt, dann wär alles ganz anders gekommen. Wenn der junge Herr Otto die Taube nicht so erschreckt hätt, und wenn die Taube, die bestimmt keine Friedenstaube war, dem Fräulein Hannah nicht ins Genick geschissen hätt, dann würde die Welt heute anders ausschauen. Nicht, dass die Ehe der Hannah Hitler ein Honigschlecken geworden wär. Untam bleibt Untam, aus einem Armleuchter wird nie ein großes Licht, und wenn sich das Würstel auch noch für das Salz dieser Erde hält, dann ist ihm wurscht, womit es sich aufplustern kann, Hauptsache ein großes Maul haben, renommieren und im Mittelpunkt stehen. Nein, die Hannah wär mit dem Aaron nicht glücklich geworden, sie hat sich einiges erspart, und das hat sie letztlich der Buchwieser Anna zu verdanken.

 

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