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Friedrich-Glauser-Preis 2005

Laudatio von Norbert Horst

 

Ich will meine Lobrede mit Jammern beginnen. Jammern über das schwere Los eines Jurymitgliedes. All die vielen Bücher, stapelweise, jede Woche. Aber nicht, wie Sie vielleicht meinen, diejenigen, die einem weniger gefallen – soll es ja auch geben –  sind das Problem. Nein, die Guten sind das Übel.

Da gibt es welche, die  sind so spannend, dass man fast jede Nacht erst um ein-, zwei Uhr das Licht löscht.
Andere sind so humorvoll, dass man wegen des ständigen Vor-sich-hinkicherns von der Familie schon eigenartig angesehen wird, wieder andere lassen einen mit ihrer Tragik die einfachsten Dinge des Lebens vergessen, sich waschen zum Beispiel.

Wenn nun ein Buch all diese Eigenschaften in sich trägt  – und “der Fall des Lemming“ tut das – dann ist solch ein Buch Schuld daran, wenn man irgendwann als geschiedener, ungewaschener Einsiedler mit Schlafdefizit in seiner Bude hockt.

Ja, der Lemming ist spannend, sehr spannend, und diese Spannung wird auf vielfältige Weise getragen. Neben der Frage, wer ihn denn nun getötet hat, den Dr. Grinzinger, webt Stefan Slupetzky noch etliche kleine Nebenfragen bunt und geschickt in diesen Spannungsteppich ein. Was ist das für ein verrückter Hund? Wer ist Janni? Und was, zum Teufel, hat es mit der Nickelbrille auf sich? Wie das dann am Ende zusammengeführt wird, ist überraschend, einfallsreich und einfach gekonnt.

Ja, der Lemming ist witzig. Und hier zeigt der Autor eine bemerkenswerte Vielseitigkeit. Da gibt es saublöde Slapstickszenen, die zum Brüllen sind, in anderen Situationen entwickelt sich der Humor ganz sacht und zurückhaltend, und dann, nicht zu vergessen,  gibt es noch diese bösen, schwarzen Momente, in denen man lacht, laut lacht, und sich schon Sekunden später dieses Lachens schämt.

Und, ja, der Lemming erzählt hinter all dem skurrilen Witz auch eine Geschichte von großer Tragik. Davon, wie Menschen einander zerstören, ohne sich zu töten, von verletzten und vernarbten Seelen und letztendlich erzählt er auch von Liebe.

Aber – und das lässt einen als Leser dann völlig abgleiten – das ist noch nicht alles. Zu all dem begegnen einem im “Lemming“ Figuren und Charaktere, denen Stefan Slupetzky durch die Tasten seines Computers so viel Leben gegeben hat, dass man meint, man bewege sich in ihrer Gesellschaft.

Der Lemming selbst, der eigentlich Leopold heißt, entwickelt sich von einem bemitleidenswerten Loser zu einem aufrecht aufrichtigen Helden, dem immer noch genug Schwäche bleibt, dass man ihn lieben kann. Auch alle anderen Figuren, ob skurril oder trottelig, ob verklemmt oder warmherzig, verlieren nie ihre reale Erdung. Und es ist als Leser sehr genussvoll, auch mal eine Figur vorzufinden, die man von der ersten bis zur letzten Seite ohne schlechtes Gewissen so richtig zum Kotzen finden darf.

Das alles erzählt uns Stefan Slupetzky in einer Sprache, die im Grundrhythmus modern verknappt, aber in dieser Reduzierung immer treffend, immer originell und passend das Wesentliche, den Geist der jeweiligen Szene hervortreten lässt. Auch hier verliert er nicht die Balance und beschert uns an vielen Stellen mit emotionaler Treffsicherheit und in warmem Ton sehr schöne sprachliche Momente.

Und der “Lemming“ spielt in Wien, unverkennbar, aber immer unaufdringlich.

Als ein sehr berühmter Wiener, vielleicht der berühmteste, nein, ich meine nicht Stefan Slupetzky, noch nicht, als Johann Strauß die Partitur seiner “schönen blauen Donau“ seinem Kollegen Johannes Brahms vorlegte, schrieb dieser darunter: Leider nicht von Brahms.

Lieber Stefan Slupetzky, wir sind heute beide nicht als Musiker hier und sicher auch nicht so bekannt, aber hätte man mir das Manuskript von “der Fall des Lemming“ vorgelegt, ich hätte aus vollem Herzen darunter schreiben können: Leider nicht von Horst.

Ganz herzlichen Glückwunsch zum Debüt-Glauser.

Norbert Horst, 30. 4. 2005

 

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