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Vom Christkind
Wenn
das Christkind zur Weihnacht nach Omnipotensk fliegt, ist es immer voll bepackt.
Die Kleinen von Omnipotensk können nicht genug bekommen: Ausklappbare Achträder,
ferngesteuerte Malpinsel, Luftkissencowboys und Tanzautomaten. Die Großen
kriegen goldene Sektflötenhalter und Gesundheitsmasken. Alle müssen sich
ausreichend freuen. Das ist anstrengend, und man muss sich lange davon erholen.
Wenn Omnipotensk erledigt ist, braucht auch das Christkind einen Ruhetag, weil
es so viel zu tragen hatte. Nach
Kargisien fliegt das Christkind dagegen ohne Gepäck. Nach Kargisien bringt es
sozusagen nur sich selbst mit. Die Kleinen lachen und tanzen, wenn das
Christkind kommt. Auch die großen Kargisier freuen sich. „Kargisien“, sagt
das Christkind immer, „ist schon eine Reise wert“.
Nicht
nur die flügellosen Kinder, auch das Christkind muss in die Schule gehen,
obwohl es das einzige in seiner Klasse ist. Die wichtigsten Gegenstände sind
Sternen- und Wetterkunde, Erd- und Flugkunde. Die
Wetterkunde geht dem Christkind gehörig auf die Nerven. „Ich muss sowieso
raus am Vierundzwanzigsten“, meint es immer, „und wie das Wetter dann ist,
merke ich schon früh genug ...“ Mittwoch
ist der Lieblingstag des Christkinds. Mittwoch ist nämlich praktischer Flugtag.
Das Christkind übt den Start bei Rückenwind, den Gleitflug bei schlechter
Sicht, den Hochflug, den Tiefflug, die Notlandung mit Übergepäck und vieles
mehr. Looping kann es schon ganz gut. Was
das Christkind noch lernen muss? Schreiben natürlich, in allen Sprachen der
Welt. Schuh- und Kleidergrößen bestimmen, damit die Geschenke auch passen.
Schadhafte Gameboys und Fernseher reparieren. Fahrräder ölen. Religion muss
das Christkind nicht lernen. Die Religion ist ihm, wie man so sagt, schon in die
Wiege gelegt worden. Im
Sommer fliegt das Christkind nach Mallorca. Es fliegt aber nicht selbst, obwohl
es gerne möchte, sondern es muss mit seiner Mutter und dem Onkel Josef in ein
Flugzeug steigen. „Wenn man auf Familienurlaub fährt, dann reist man auch
gemeinsam“, sagt die Mutter vom Christkind. „Also mach dich unsichtbar und
setz dich hin!“ Das Christkind tut schließlich, was die Mutter sagt. Es macht
sich also unsichtbar, damit es nicht von allen Leuten angegafft wird, klappt
seine Flügel ein und blickt gelangweilt aus dem Fenster. Später darf es nach
vorne flattern, ins Cockpit, und dem Piloten über die Schulter schauen.
Unpraktische Art, zu fliegen, denkt das Christkind, und null Fahrtwind in den
Haaren ... Später
sitzen sie am Strand von Mallorca. Die Mutter und der Onkel Josef schmieren sich
dick mit Sonnenmilch ein, bis sie wie richtige Touristen aussehen. Das
Christkind braucht sich nicht einzuschmieren: Es kann keinen Sonnenbrand
kriegen, weil es ja durchsichtig ist. Es wird ein schöner Urlaub. Das
Christkind läßt seine kleinen Zehen ins Wasser baumeln und baut unsichtbare
Sandburgen. Rein
beruflich kann dem Christkind keiner was vormachen. Seine Weihnachtsaktionen
sind unübertroffen, bis ins Letzte durchdacht. Da sitzt jeder Handgriff, da fügt
sich eine geschmeidige Bewegung in die andere, exakt wie ein Uhrwerk, und alles
so schnell, dass das Auge gar nicht recht folgen kann. „Ohne Plan kein
Schwan“, sagt das Christkind, wenn man es nach dem Geheimnis seines Erfolges
fragt, und das heißt soviel wie: „Mein Geheimnis bleibt mein Geheimnis bleibt
mein Geheimnis ...“ Einmal
hat das Christkind einen kleinen Buben gesehen, der herumgetanzt ist und immer
wieder gerufen hat: „Das Grießkinn kommt! Das Grießkinn kommt!“ Das hat es
nicht sehr lustig gefunden, das Christkind. Immerhin hat es ja eine Amtsehre zu
verteidigen. Ein bisschen Respekt hat man sich schon verdient. Der
Bub hat Manuel geheißen. Und weil ihm das Christkind eine Lehre erteilen
wollte, hat es an den nächsten Weihnachten auf all seine Päckchen Mohnnudel
geschrieben statt Manuel. Vom
Grießkinn für den kleinen Mohnnudel, stand also auf den Geschenken. Wie
der Manuel unter dem Weihnachtsbaum gesessen ist und seine Päckchen öffnen
wollte, hat er das gelesen. Und er hat langsam den Kopf gehoben und nach oben
geschaut. Und er hat ganz verblüfft gegrinst dabei. Aber
Grießkinn hat er weiterhin gesagt. Für
das Christkind dauert Weihnachten fast ein ganzes Jahr. Es beginnt schon im
August, wenn die ersten Wunschbriefe kommen. In den folgenden Monaten werden es
immer mehr, und im Dezember brummt dem Christkind der Schädel vor lauter
Barbies und intergalaktischen Schleimsoldaten. Noch vor dem Jahreswechsel
trudeln die ersten Reklamationen ein. Ich
wollte aber das Flitzipower Superbike XL und nicht das Flitzipower Superbike TX,
heißt es da, oder: Keiner hat mir gesagt,
dass ich mit dem Handy nicht unter Wasser telefonieren kann ... Das geht so
weiter bis Ende März; dann hat der Osterhase die Probleme. Für das Christkind dauert der Heilige Abend fast einen ganzen Tag. Von früh bis spät ist es unterwegs, einmal rund um die Erde, und fliegt zu allen Menschen. Zu den Tieren fliegt es nicht, für die Tiere ist der Christfink zuständig, den aber kaum jemand kennt. Am meisten freut sich das Christkind auf den Moment, wenn alle Städte und Dörfer, alle Hütten, Häuser und Paläste erledigt sind. Dann kommen nämlich die so genannten Randlagen dran, also schwer erreichbare Leute wie Polarforscher oder Beduinen. Den allerschönsten Augenblick hebt sich das Christkind aber bis zum Schluss auf. Dann fliegt es hinauf, immer höher und höher hinauf, um die Astronauten im Weltraum zu besuchen. Nach Mitternacht, wenn das Christkind heimkehrt, setzt es sich manchmal noch zu seinen beiden Haustieren, zum Ochs und zum Esel, und erzählt ihnen davon. „Man muss sich gar nicht anstrengen“, sagt das Christkind dann. „Man schwebt einfach nur durch die Stille. Und irgendwann dreht man sich um und sieht ... und sieht ... die ganze Welt ...“ Sehr leise ist die Stimme vom Christkind, wenn es das sagt, und seine Augen glänzen: „Sie ist so schön, die Welt ... so wunderschön ...“
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