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Burgdorfer Krimipreis 2006

Laudatio von Hans Herrmann

 

"Wenn Österreichs gegen das Meer gestreckte Arme auch im Laufe der Zeit amputiert wurden und die einstige Seemacht zur Spielwiese der Badewannenkapitäne verkommen ist, besitzt ihre Hauptstadt Wien nach wie vor einen höchst bedeutsamen Küstenstrich. Als Strand ohne Wasser, als rein metaphorisch maritimer Streifen erstreckt er sich nur über wenige hundert Meter und reicht dennoch von Varna bis Valletta, von Triest bis Tripolis. Ein Spaziergang auf dem Naschmarkt ist eine Reise um die halbe Welt, eine babylonische Irrfahrt für die Ohren und eine olfaktorische Odyssee."

Verehrtes Publikum, ich bin mir bewusst, dass es von schlechtem Geschmack und wenig eigener Fantasie zeugt, eine Ansprache mit einem Zitat zu beginnen. Mit obigen Zeilen habe ich mir diesen abgedroschenen Kniff nun aber doch erlaubt, weil er mir im vorliegenden Fall verzeihlich und sogar tunlich scheint. Erstens handelt es sich um eine beispielhaft anschauliche, präzise und elegante Beschreibung des Wiener Naschmarkts, und zweitens stammt sie aus der Feder jenes Schriftstellers, der den Burgdorfer Krimipreis des Jahres 2006 gewonnen hat und diesen nun offiziell erhalten soll.

Ein Jahr lang hat die Jury des Burgdorfer Krimipreises Mörder, Gangster, Hehler, Menschenhändler, Zuhälter, Grössenwahnsinnige, Psychopathen, Triebtäter, Ermittler, Kommissare, Kriminaltechniker, Streifenbeamte und Privatdetektive der deutschsprachigen Kriminalliteratur kritisch unter die Leselupe genommen, hat Neuerscheinungen auf Unterhaltungswert, Stimmungsgehalt, Inhalt, Witz, Rafinesse und Subtilität untersucht und in einer Endrunde ihr abschliessendes Urteil gefällt.

Die Siegerwahl verlief, um das Motto der heurigen Krimitage zu bemühen, "wie geschmiert". Auf der Liste der sechs Schreibenden, die es in die Endrunde geschafft hatten, zog beim Bewertungsvorgang ein bestimmter Autor die Pluspunkte wie ein Magnet an. Schliesslich thronte er auf der Skala der Benotung dermassen hoch, dass er seine Mitbewerber um mindestens doppelte Siegespalmenhöhe überragte. Mit umso grösserer Genugtuung können wir dem Gewinner heute die Lorbeeren überreichen, denn es handelt sich bei ihm eben nicht um einen Verlegenheitssieger, sondern um einen echten Erstplatzierten.

Mit seinem Kriminalroman "Lemmings Himmelfahrt" hat uns der Wiener Autor in mehrfacher Hinsicht überzeugt. Die Orte der Handlung – Wien und ein Sanatorium für psychisch Kranke – sind nicht bloss Kulisse, sondern gut gedüngter und sorgfältig geharkter Nährboden, auf dem die Geschichte ihre bunten und zuweilen üppigen Blüten entfaltet. Die Sprache, derer sich der Autor bedient, führt gepflegt, elegant, virtuos und treffend durch eine stimmige Handlung, und die Charaktere, die die Szenerie bevölkern, gehören, jeder auf seine Art, zur Kategorie der Saftwurzeln, Urgesteine und Originale.

Wer den Roman bösen Willens liest, wird dem Autor zum Vorwurf machen, er trage etwas gar zu dick auf, teile zuweilen allzu zynische Hiebe aus und mache sich einen Sport daraus, seine Leserschaft mit immer neuen, immer verrückteren und im Grunde wenig realitätsnahen Überraschungen zu überrumpeln. Gerade das aber macht den eigentlichen Reiz des Romans aus: Er schert sich keinen Deut um politische Korrektheit, ist wohltuend frisch und frech, nimmt sich und das ganze Genre nicht ganz so tierisch bierernst, klingelt immer wieder mit den Narrenschellen und bietet spannende Unterhaltung, die zwischen Abgründigem, Absurdem, Feinem, Fröhlichem, Barockem, Brutalem und Deftigem gekonnt die Balance hält.

Der Autor hat der Jury ein paar wirklich anregende Stunden beschert, dafür gebührt ihm Lob und Preis. Verehrtes Publikum, ich bitte um einen kräftigen Applaus für Stefan Slupetzky, den Träger des Burgdorfer Krimipreises 2006 – ich danke Ihnen.

 

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