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Die Geburt
(aus "Lemmings Zorn")
Hurtig
durchquert er den Kreuzgang, mit Schritten, gerade so lang, wie seine
enge Soutane es zulässt. In seinen Händen trägt er die Banner der Güte
und Herzlichkeit, leuchtend und weiß; meterweit flattern die Flaggen
hinter ihm her. Pater
Pius hat in der Eile nichts Besseres gefunden. „Ein weiches, sauberes
Tuch, wenn Sie hätten“, hat die fuchsrote Frau zu ihm gesagt, „zum
Aufbreiten, und nachher dann zum Einwickeln. Wir wollen ja nicht, dass
das Butzerl friert auf dem kalten Steinboden.“ Also ist der Pater kurz
entschlossen zur Toilette neben dem Refektorium gelaufen, um zwei
Klosettpapierrollen zu holen. Ein wenig mitgenommen hat ihn die
vergangene Viertelstunde schon, den guten alten Pius: Die gepressten
Schreie der Gebärenden haben seine Nerven strapaziert, unheimlich,
beinahe tierisch sind sie durch die Gänge des Klosters gehallt. Der
Anblick des behaarten Schoßes, gepaart mit dem Hecheln, dem Schnaufen,
dem Schmerzensgebrüll: All das war doch ein bisschen viel für seine
Nerven. Auch wenn es (dessen war sich der Pater durchaus bewusst) zu
Gottes Schöpfungsplan gehörte, so kann die Schöpfung eben auch
ziemlich beängstigend wirken, selbst auf einen alten Ordensbruder, der
ja sozusagen höchstpersönlich in der Herstellerfirma beschäftigt ist.
Mit
wehenden Fahnen biegt Pater Pius jetzt um die Ecke, aber zu spät: Auf
den Boden gebreitet liegt schon das Hemd des Lemming; er selbst sitzt
mit nacktem Oberkörper daneben, ein blutiges, zuckendes Bündel in
seinen Armen. „Halleluja
...“ Pater Pius bleibt ruckartig stehen und lässt die Klosettrollen
sinken. „Halleluja“, sagt er noch einmal. „Es ist ein Wunder
...“ Und
es ist auch ein Wunder. Ein
kleines Stück Leben, das – ohne zu wissen, wie ihm geschieht – in
einer nie gekannten Dimension erwacht. Das nicht nach Hause kommt, nicht
heimkehrt, sondern auf einen gewaltigen, unsagbar fernen Planeten
geschleudert wird. Eine Sturzflut fremder Reize bricht mit einem Schlag
auf seine verletzlichen Sinne nieder, Gerüche, Geräusche und gleißendes
Licht vermengen sich mit dem Gefühl der Kälte auf der bloßen Haut: Zu
viele Empfindungen, um sie zu entwirren oder gar ihre Bedeutung zu
verstehen. Das kleine Stück Leben ist vollkommen hilflos, es weiß
nichts und kann nichts: ein unnützes Sandkorn im Mahlwerk der Welt. Aber
eben doch ein Sandkorn: Es bringt das Getriebe des Mahlwerks zum
Stocken, indem es sich einer Methode bedient, die zwar einfach
erscheint, aber zweifellos magisch ist: Das kleine Stück Leben ruft
Liebe hervor. Pure und bedingungslose, kurz gesagt: vollkommene Liebe. Es
ist tatsächlich ein Wunder. Der
Lemming kriegt schon wieder feuchte Augen. Er blinzelt hinab auf das
schrumplige Etwas, das sich – gerade so lang wie sein Unterarm – an
seiner Brust räkelt. Die erbsengroßen Zehen, die dünnen, bebenden
Glieder am auberginenförmigen Rumpf, der nach wie vor an der weißlichen
Nabelschnur hängt. Dann der lang gestreckte Schädel, am Scheitel fast
kahl, aber von einem blauschwarzen Haarkranz umrahmt. Darunter die
samtigen Ohren, deren Ränder sich in Rüschen legen wie die Blätter
einer Blüte, die sich erst entfalten muss. Und schließlich das runde
Gesicht, ganz zerknautscht von der Reise ins Licht. Große, dunkle Augen
sehen den Lemming an. „Sag,
Poldi ... Was haben wir eigentlich?“ Klaras
Stimme klingt müde und weich. Sie lehnt an der Wand, mit geschlossenen
Lidern, und lächelt. Der Lemming rückt näher und schmiegt sich an
sie. „Wenn’s ein Mädchen ist, dann hat es ziemlich große Eier“.
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