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Der Weg ins Freie

(nach dem Roman von Arthur Schnitzler)

 

1. Akt, 5. Szene

 

 

Im Garten einer Ausflugshütte. Aus dem Off ertönen das Grölen und die Gesänge einer jungen, hörbar

deutschnationalen Gesellschaft. Georg und Bermann erscheinen, Fahrräder schiebend.

 

BERMANN

Ich frage mich, ob diese Jünglinge bieder, treu und mutig sind, wofür sie sich jedenfalls halten. Dass sie aber gehörig nach Schweiß duften, ist gewiss, und daher wäre ich dafür, dass wir uns in angemessener Entfernung niederlassen.

 

GEORG

Was kümmern Sie sich immerfort um diese Leute? Es wird wirklich schon zur fixen Idee bei Ihnen.

 

Bermann bleibt stehen und sieht Georg an.

 

BERMANN

Ich weiß, was Sie jetzt denken. Dass es mir wohl sympathischer wäre, wenn da drüben eine Gruppe polnischer Rabbiner säße und Psalmen sänge.

(er setzt sich an einen der Tische)

Nun, sympathischer weiß ich nicht. Wohler tät ich mich jedenfalls fühlen.

 

Georg will gerade etwas erwidern, als Leo Golowski den Gastgarten betritt.

 

LEO

Herr Baron!

 

Er begrüßt Georg und Bermann. Man setzt sich.

 

LEO

Ich habe ja unlängst gehört, wie Sie Ihre Partie verabredet haben, und als wir heut schon um neun aus der Kaserne entlassen wurden, dacht’ ich mir gleich, es wäre hübsch, mit zwei klugen, angenehmen Menschen eine Stunde im Freien zu verplauschen, ohne an den Dienst zu denken.

 

GEORG

So schlimm?

 

LEO

Im Allgemeinen nein, im Besonderen ja. Leider hab ich das Glück, einem Oberleutnant zugeteilt zu sein, dem meine Herkunft nicht genehm ist. “Mit mir wern S’ nix zu lachen haben, ich bin eine Bestie in Menschengestalt!” So hat er sich unserer Abteilung vorgestellt. Dass man als Goldmann, Levi oder eben als Golowski noch ein bissel weniger zu lachen hat als alle anderen, hat er aber nicht dazu gesagt.

 

Unbemerkt von den dreien hat sich Josef Rosner dem Tisch genähert. Er salutiert.

 

JOSEF ROSNER

All Heil! Servus, Leo.

(verbeugt sich)

Herr Baron.

(zu Bermann)

Josef Rosner mein Name.

(Abwarten. Pause)

Die Herren machen also auch eine Radpartie. Ja ja, die letzten schönen Tage muss man nützen, lang wird die Herrlichkeit ja nicht mehr dauern.

 

GEORG

Wollen S’ nicht Platz nehmen, Herr Rosner?

 

JOSEF ROSNER

Küss die Hand, aber ...

(deutet zu seinen Kollegen)

Wir sind schon im Aufbruch, haben noch viel vor. Bis nach Tulln hinunter und dann über Stockerau nach Wien.

 

LEO

Was ist das eigentlich für ein Klub, bei dem du da bist?

 

JOSEF ROSNER

Sechshauser Radfahrerklub. Der Obmann ist nämlich ein guter Freund von mir ...

(deutet hinüber)

Der Dicke dort, der g’rad in seinen Rock hineinschlüpft. Jalaudek, der Sohn vom Stadtrat.

 

BERMANN

Jalaudek ...

 

LEO

Das ist doch der, der neulich bei einer Debatte diese prachtvolle Definition von Wissenschaft gegeben hat. Haben Sie’s nicht gelesen?

 

Die anderen verneinen.

 

LEO

Wissenschaft ist das, was ein Jud vom anderen abschreibt.

 

Schweigen.

 

JOSEF ROSNER

Er ist aber nur im politischen Leben so grob, ich kenn ihn ja. Für gewöhnlich hat er sehr freundliche Umgangsformen. Da ist der Junge viel radikaler.

 

LEO

Ist euer Klub eigentlich christlich-sozial oder deutschnational?

 

JOSEF ROSNER

O, da wird bei uns kein Unterschied gemacht ...

 

LEO

Aber bitte, dass euer Klub judenrein ist, das ist doch selbstverständlich. Man merkt’s auch schon von weitem.

 

Josef lacht verlegen auf.

 

JOSEF ROSNER

Auf den Bergen, meine Herren, schweigt die Politik. Überhaupt ... Sie machen sich da falsche ... Wir haben zum Beispiel einen im Klub, der ist mit einer Israelitin verlobt ... Aber ...

(sieht zu seinen Freunden hinüber)

Ich muss leider gehen, sie winken mir schon. Habe die Ehre, die Herren, servus, Leo, all Heil.

 

Josef salutiert und läuft hinaus.

 

Dunkel. Rufe und Gesänge junger Männer. Zeitsprung.

Georg, Leo und Bermann spazieren schweigend, ihre Räder schiebend. Von weit her tönen Fahrradklingeln, durchmischt mit dem Grölen der Klubgesellschaft.

 

LEO

Es ist schon ein grässliches Volk.

 

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