Home Neues Ich Termine Publikationen Kritiken Bibliographie Texte Bilder Kontakt
Der Weg ins Freie
(nach dem Roman von Arthur Schnitzler)
1. Akt, 3. Szene
Im Salon der Ehrenbergs. Mutter Ehrenberg und Else warten auf die Gäste. Else liest.
MUTTER EHRENBERG Glaubst, kommt er heut?
Else blickt von ihrem Buch auf.
ELSE Wer?
MUTTER EHRENBERG Der Georg Wergenthin.
ELSE Sollen wir ihm vielleicht ... telefonieren?
MUTTER EHRENBERG Ich weiß nicht. Du erinnerst dich, was für einen charmanten Kondolenzbrief ich ihm geschrieben und wie dringend ich ihn auf den Auhof eingeladen hab. Er ist nicht gekommen und seine Antwort war auffallend kühl.
ELSE Man kann ihn nicht behandeln wie die anderen. Er gehört zu den Leuten, die man gelegentlich daran erinnern muss, dass man auf der Welt ist. Wenn man ihn erinnert hat, dann freut er sich schon darüber.
MUTTER EHRENBERG Es wird ja doch nichts werden.
ELSE Was?
MUTTER EHRENBERG Du weißt schon.
ELSE Ich ... Es soll ja auch nichts werden. Georg war ... Er ist ein guter Freund, nichts weiter. Außerdem erzählt man sich, dass er seit Neuestem ...
Else verstummt. Mutter Ehrenberg sieht sie fragend an.
ELSE Ein Verhältnis. Es scheint ernst zu sein.
MUTTER EHRENBERG (lacht auf) Ernst? Geh, Kinderl, dem wird das nie passieren. Dazu ist er zu kühl, zu überlegen, zu ... temperamentlos.
ELSE Gerade darum. Er wird in irgendwas hineingleiten, und es wird über ihm zusammenschlagen, ohne dass er’s überhaupt bemerkt hat. Und eines schönen Tages wird er verheiratet sein - aus lauter Indolenz - mit irgendeiner Person, die ihm wahrscheinlich ganz gleichgültig sein wird.
MUTTER EHRENBERG Und? Um wen soll es sich handeln?
ELSE Anna.
MUTTER EHRENBERG Welche Anna?
ELSE Anna Rosner selbstverständlich.
MUTTER EHRENBERG Aber! Du glaubst doch nicht im Ernst, dass Anna, die eine so zurückhaltende Natur ist, sich so weit vergessen könnte!
ELSE So weit vergessen? Also, Mama, du hast manchmal Ausdrücke ... Übrigens find ich, dazu muss man gar nicht so vergesslich sein.
Mutter Ehrenberg lächelt. Da tritt Bermann ein. Mutter Ehrenberg geht ihm entgegen.
BERMANN Bin ich der erste? Noch niemand da? Kein Hofrat, kein Graf, kein Dichter? Nicht einmal eine dämonische Frau?
MUTTER EHRENBERG Nur eine, die es nie gewesen ist ... (mit einem Blick zu Else) Und eine, die es vielleicht einmal werden wird.
BERMANN Oh, ich bin überzeugt, dass Fräulein Else auch das eines Tages gelingt, wenn sie sich’s ernstlich vornimmt. (er küsst Else die Hand.) Wie befinden sich die zahlreichen Freunde Ihres so beliebten Hauses?
ELSE Freunde? Da müsst man doch erst wissen, wen Sie darunter verstehen, lieber Herr Bermann.
BERMANN Nun, alle Leute, die Ihnen aus irgendeinem Anlass Angenehmes sagen. Und denen Sie es glauben.
Da tritt Salomon Ehrenberg ein.
MUTTER EHRENBERG Hast du schon fertig gepackt?
BERMANN (während er Ehrenberg die Hand reicht) Sie verreisen?
SALOMON Ja. Nach Korfu, vorläufig. Die Saison fängt an, und vor die Jours im Haus Ehrenberg is mir mies.
MUTTER EHRENBERG Es verlangt ja niemand, dass du sie mit deiner Gegenwart beehrst.
SALOMON Gut gibt sie das. Auf deine Jours möcht ich natürlich verzichten. Aber wenn ich grad an einem Donnerstag ganz ruhig zu Haus nachtmahlen möcht’, und es sitzt in einer Ecke ein Attaché, in der andern ein Husar, und dorten spielt einer seine Kompositionen vor, und auf’m Diwan hat einer Esprit, und am Fenster verabredet sich eine Hofratswitwe ein Rendezvous, mit wem sich’s grade trefft ... So macht mich das nervös.
BERMANN Und von Korfu aus?
SALOMON Wahrscheinlich nach Ägypten, Syrien ... und Palästina. Ja, ich möcht Jerusalem gesehen haben, eh’ ich sterbe. Vielleicht ist es nur, weil man soviel vom Zionismus liest, aber wenn man sich anschaut, was in der Welt vorgeht, möcht man manchmal glauben, es gibt keinen anderen Ausweg für uns.
BERMANN Ich habe bisher nicht die Beobachtung gemacht, dass Ihnen der Antisemitismus auffallend geschadet hätte.
SALOMON Weil ich ein reicher Mann geworden bin? Die Hälfte von meinem Vermögen gäb ich her, wenn ich die ärgsten von unseren Feinden am Galgen säh’.
BERMANN Und wenn Sie am Ende die Falschen hängen lassen?
SALOMON Die Gefahr ist nicht groß. Greifen Sie daneben, so erwischen Sie auch einen. Sagen Sie ... Sind Sie vielleicht sogar getauft, Herr Bermann? Man kann ja so was heutzutage nicht mehr wissen.
BERMANN Nicht getauft, nein. Ich bin längst ... konfessionslos geworden.
SALOMON Wenn man Ihnen einmal den Zylinder einschlagt auf der Ringstraße, weil Sie ... nu, weil Sie halt eine jüdische Nase haben, werden Sie sich nicht mehr konfessionslos fühlen, verlassen Sie sich darauf.
|
|