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Schobers Glückstag

(aus "Halsknacker")

 

Die Sonne stand schon tief am wolkenlosen Himmel, ihr warmes Licht aber lag noch auf Wäldern und Wiesen, auf den sanft gewölbten, moos- und tannengrünen Hügeln. Die Natur – man konnte es spüren – aalte sich wonnig darin.

Inspektor Schober hatte keinen Sinn für derlei Wonnen. Er strebte zügig das Fairway entlang, zog den Putter aus der Tasche und betrat das siebzehnte Grün. Schober wirkte konzentriert, seine Miene entschlossen, ja fast schon verbissen: Es war das Gebaren eines jämmerlich einsamen Menschen, der vor sich und der Welt so tut, als wäre ihm nichts willkommener als das Alleinsein.

Fast ein Jahr lang spielte Schober nun schon Golf. Anfangs hatte er es nur zur Entspannung getan, als Ausgleich zu seinem Dienst im Betrugsdezernat. Später dann, weil ihm das Spiel immer besser gefiel. Nur zu meistern mit einer geradezu magischen Mischung aus Intuition und Kontemplation, ähnelte es frappant seiner Arbeit. Ein eingelochter Ball war wie ein aufgeklärter Fall: Man hatte gezielt und geschlagen, verfehlt und gesucht, gefunden, gehadert, geflucht. Man hatte sogar kurz mit dem Gedanken gespielt, die eine oder andere Regel zu brechen ... Letztlich aber hatte man den kleinen Gauner – ganz legal – dahin gebracht, wo man ihn haben wollte: ins Loch.

Nur: Was zählt der Erfolg ohne Publikum? Was der Triumph, wenn es keinen Applaus dafür gibt? Schobers Kollegen weigerten sich standhaft, ihn auf seinen Runden zu begleiten. Mehr noch, sie verspotteten ihn ob seiner Leidenschaft. „Schau, wie fesch, der feine Herr von Schober hat schon wieder die karierten Sockerln an“, pflegten sie hinter seinem Rücken zu flöten, gerade laut genug, dass er es hören konnte.

Schober schob den Ball einen Meter neben das Loch, versenkte ihn erst nach zwei weiteren Fehlschlägen und stapfte missmutig weiter zur achtzehnten Bahn. Ein Par drei, knapp hundertvierzig Meter, enges Fairway, leicht nach links geneigt. Schober erklomm den Abschlag – und stutzte.

Auf dem achtzehnten Grün standen zwei Männer, einer kariert, einer gestreift, zwischen denen ein heftiger Streit entflammt war. Statt ihr Spiel zu beenden, warfen sie die Arme hoch und diskutierten lauthals. Schober vermeinte sogar, durch das laue Abendlüftchen das eine und andere Schmähwort zu vernehmen. Kurz entschlossen ging er auf die Männer zu, um deren Streit zu schlichten oder sie auf andere Weise vom Grün zu vertreiben.

„Vielleicht können Sie uns ja helfen!“, rief ihm der Gestreifte entgegen. „Wir haben da ein ... nun, ein mehr als strittiges Regelproblem!“ Und der Gestreifte zeigte auf den Rasen, auf dem – nun konnte auch Schober es erkennen – etwas Großes und Rundliches lag: Ein Mann, konstatierte Schober, sobald er das Grün erreichte. Ein wohlbeleibter, regungsloser Mann. Aus einer Wunde in seiner Stirn tröpfelte Blut ins Gras.

„Sie werden mir doch Recht geben“, sagt nun der Karierte, „dass es sich hierbei um ein bewegliches Hemmnis laut Regel 24 – 1. handelt, welches ich also entfernen darf, ehe ich putte. Dieser Herr hier“, er bedachte den Gestreiften mit einem verächtlichen Blick, „dieser Herr hier vertritt dagegen den lachhaften Standpunkt, dass der Tote als loser hinderlicher Naturstoff zu betrachten ist.“

„Das will ich doch meinen!“, brauste der Gestreifte auf. „Regel 23!“

Schober runzelte die Stirn und umkreiste den leblosen Mann, zu dessen Füßen ein zerbrochener Putter lag.

„Jemand muss ihn erschlagen haben“, bemerkt der Karierte mit Nachdruck. „Was eindeutig für das bewegliche Hemmnis spricht. Er ist ja offenbar durch Menschenhand in diese Lage gekommen“.

Inspektor Schober überlegte. Ging dann in die Knie und betrachtete den kurz geschorenen Rasen, aus dem ein beträchtlicher, beinahe faustgroßer Klumpen Erde geschlagen war. Er erhob sich, trat an die Fahne, bückte sich abermals und holte mit triumphierendem Lächeln einen Ball aus dem Loch.

„Haben Sie etwas herausgefunden?“, fragt der Gestreifte.

„Allerdings“, gab Schober zurück. „Als Golfer muss ich beiden von Ihnen zustimmen: Die Leiche ist zweifelsfrei loser Naturstoff, ihre Kleidung dagegen bewegliches Hemmnis. Entfernen dürfen Sie sowohl die Kleider als auch den Toten, zumal er sich nicht in einem Hindernis gemäß Regel 13 befindet.“ Schober legte eine Pause ein und schüttelte den Kopf. „Als Kriminalbeamter muss ich Ihnen aber widersprechen: Hier liegt sicher keine Fremdeinwirkung vor.“ Und mit leisem Seufzen fügte er hinzu: „Als Mensch wieder kann ich nur sagen: Es ist eine Bürde, immer allein seine Runden drehen zu müssen ...“

Mitleidig musterte Schober den Toten, als ein Ruck durch dessen Körper ging. Der Dicke schlug die Augen auf. „Wenn Sie außerdem Arzt wären“, murmelte er benommen, „dann hätten Sie mich wiederbelebt, statt hier Vorträge zu halten. Schließlich ist es auch regelkonform, wenn sich der lose Naturstoff von selbst entfernt.“

Wie Schober vermutet hatte, war der Mann, so wie er selbst, alleine auf die Runde gegangen. Und hatte am 18. Loch ein Hole-in-One gespielt. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass sein Ball tatsächlich im Loch gelandet war, hatte ihn rasender Zorn ergriffen: Zorn darüber, dass es keinen Zeugen, keinen Beifall für seine Meisterleistung gab. In seiner Wut hatte er seinen Putter aufs Grün geschmettert, der Schläger war zerbrochen, der Schlägerkopf zurückgeprallt und gegen seine Stirn geschlagen.

„Wie heißen Sie“, fragte Schober, als sie sich auf den Weg zum Clubhaus begaben. „Wendel“, gab der Dicke zurück. „Inspektor Wendel, Sittendezernat. Meine Kollegen weigern sich, Golf zu spielen, die machen sich immer nur lustig über mich ...“

Ein letzter Sonnenstrahl fiel durch die Baumwipfel; er umhüllte die beiden Männer mit einer rötlichen Gloriole. Inspektor Schober ahnte, dass dies der Beginn einer wunderbaren Freundschaft war.

 

 

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