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Warum ich zu Polen nichts schreiben will

(aus "1001 Buch" 3/2000 - anlässlich des Polen-Schwerpunkts der Frankfurter Buchmesse)

 

Sehr geehrter Herr Chefredakteur!

Ihrer Bitte, ich möge für Ihr wertes Blatt einen Aufsatz über das schöne Land Polen verfassen, kann ich leider nicht nachkommen. Erstens hat mich unser Telefonat von voriger Woche ein wenig, nun, wie soll ich sagen, befremdet. Wie Sie sich erinnern werden, begründeten Sie Ihren Entschluss, diesen Auftrag an mich zu vergeben, mit der Vermutung, ich hätte, obgleich Träger eines polnischen Namens, vom Land meiner Ahnen nicht die geringste Ahnung. Und ein, wie Sie meinten, völlig unqualifizierter und, wenn Sie mir das Wort erlauben, blödsinniger Artikel könne Ihrer weitgehend wissenschaftlich fundierten Zeitschrift als Auflockerung nur gut tun.

Zweitens, und das, Herr Redakteur, halte ich nun wirklich für unverzeihlich: Ausgerechnet Polen. Etwas Leichteres ist Ihnen nicht eingefallen. Über Fidschi oder Timbuktu könnte ich Ihnen mehr schreiben ...

Ich meine: Was macht dieses Land für einen Österreicher so besonders? Ist es gar sein Mangel an Besonderheit? Was bei uns weiß ist, ist in Polen ein bisschen weißer. Was bei uns schwarz ist, ist in Polen ein wenig schwärzer. Da fehlt schlichtweg der Kontrast. Umso mehr, als es zwei zutiefst österreichische Wünsche sind, die sich Polen in seiner etwas über tausendjährigen Geschichte oft und lange erfüllen durfte: Nämlich der Wunsch, unterjocht zu werden, und der Wunsch nach unverbrüchlichem Katholizismus (zugegeben: das ist im Grunde ein und derselbe Wunsch). Wir Österreicher haben das trotz aller Bemühungen immer nur ein bisserl geschafft (zugegeben: wir holen gerade mächtig auf).

Meinetwegen: Es gibt Unterschiede, mögen sie auch gering sein. Die Zeit der Schnurrbärte zum Beispiel. Sie ist in Österreich schon lange vorbei. Polnische Männer tragen immer noch Schnurrbart, und sie tun es mit einer Art poetischer Schwermut. Weiters: Alleinstehende polnische Männer gehen (ähnlich den tschechischen) folgenden Berufen nach: Puppenspieler, Illustrator oder Cellist. Sie wohnen grundsätzlich in schwer zugänglichen, aber lichtdurchfluteten Dachkammern (es muss dort enorm viele Dachkammern geben, was auf eine gewisse Extravaganz in der polnischen Baukunst schließen lässt). Österreichs Singles setzen der romantischen Melancholie ihrer polnischen Kollegen die weitaus konkretere misanthropische Verdrossenheit entgegen. Sie sind (ähnlich den indischen Männern) immer Softwareingenieure. Und sie leben nur dann in Mansarden, wenn es auch einen Fahrstuhl gibt.

Nicht viel mehr lässt sich über Polen im Exil berichten. Emigrierte polnische Männer sind entweder Automechaniker oder Autoknacker oder Papst (man beachte: ein weiterer tiefinnerer Herzenswunsch aller aufrechten Österreicher).

Was nun die Frauen betrifft, so lassen sich ähnlich geringe Divergenzen beobachten. Die Zeit der Kopftücher zum Beispiel. Sie ist in Österreich lange vorbei. Polnische Frauen pflegen sich bereits etwa drei Monate nach ihrer Hochzeit bunte Kopftücher umzubinden, die sie von da an bis zu ihrem Tode nicht mehr ablegen. Bei uns lässt sich dieses Phänomen nur noch selten beobachten, und wenn, dann geht es zumeist mit gesteigertem Schnurrbartwuchs einher.

Auch im Hinblick auf sprachliche Belange sind keine größeren Unterschiede zwischen Polen und Österreich festzustellen. Mag sein, dass im Himmel ein vorübergehender Versorgungsengpass mit Vokalen aufgetreten ist, damals, als der liebe Gott die afrikanischen Buschmänner das Schnalzen lehrte und auch den Polen ihre Sprache schenkte, aber das sind zu vernachlässigende Feinheiten. Wenn der Österreicher den Notarzt ruft, ist es manchmal zu spät. Wenn der Pole pogotowie ratunkowe ruft, ist es sicher zu spät. Bis er fertig gerufen hat, ist er schon so zdegustowany, also krank, dass ihm zrozumialy, also klar sein muss: das wird ein Fall für die ubezpieczenie na zycie, also die Lebensversicherung. Selbst dann, wenn der Notarzt mit dem rower unterwegs ist. Mit dem Fahrrad nämlich. Dass die Liebe hier wie da durch den Magen geht, lässt sich unschwer am polnischen Wort für “lieben” erkennen. Es lautet: kochac. Also: Wieder nur marginale Abweichungen, da kann man tlumaczyc, soll heißen übersetzen, soviel man will.

Noch ein Beispiel gefällig? Etwa, was den wiederholten polnisch-österreichischen Schulterschluss in der gemeinsamen, von Angriffslust und Xenophobie geprägten Geschichte betrifft? Eine Gruppe türkischer Touristen musste 1683 am eigenen Leib erfahren, welch niedrige Gesinnung Polen und Österreicher miteinander verbindet. Die Muselmanen hatten damals viele Geschenke mitgebracht, Kaffee, Kipferln und allerlei mehr, und begehrten Einlass nach Wien, als sie hinterrücks von einer Horde wild gewordener Polen attackiert wurden. Gleichzeitig streckten ihnen die Wiener vorne, über der Stadtmauer, ihre nackten Ärsche entgegen. Einer der polnischen Rocker auf ihren Halbblut-Davidsons, ein gewisser Slupecki, blieb hier, um sein tugendloses Blut mit dem lasterhaften Wiener Blut zu vereinen. In seiner Heimat war er nur Teichgraf gewesen, eine Art Froschkönig auf Pfuhlstein gewissermaßen, und er dachte, das würde hier nicht so auffallen. Tut es auch nicht. Bis heute nicht.

Aus all diesen Gründen sehe ich mich außerstande, den von Ihnen, Herr Franz, gewünschten Artikel zu verfassen.

 

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