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Weg ins Freie
(nach dem Roman von Arthur Schnitzler)
Bühnenfassung: Stefan Slupetzky - Regie: Maria Happel - Bühne: Peter Loidolt - Kostüme: Erika Navas - Licht: John Lloyd Davies - Musikalische Leitung: Maria Happel. Mit: Manuel Rubey, Katharina Straßer, David Oberkogler, Toni Slama, Marcello de Nardo, Paul Wolff-Plottegg, Gerrit Jansen, Johanna Arrouas, Marianne Nentwich, Rainer Frieb, Ruth Brauer, Michael Pöllmann, Karin Kofler, Alexander Rossi, Dirk Nocker, Maria Happel, Paula und Annemarie |
Reichenau: Eine betörende Frischzellenkur. Theater vom Feinsten. Arthur Schnitzler und die Festspiele Reichenau - diese Kombination funktioniert seit vielen Jahren vorzüglich. Aber - und diese Bemerkung sei gestattet - selten war ein Schnitzler so modern, so zeitlos und dabei so poetisch-klug wie die Dramatisierung des Romans "Der Weg ins Freie". Stefan Slupetzky hat in gewohnt raffinierter Weise eine dreiaktige Bühnenfassung erstellt, hat die Handlung verknappt und einzelne Charaktere noch zugespitzt. Denn "Der Weg ins Freie" handelt zwar von dem jungen, leichtlebigen Baron Georg von Wergenthin, der das gutbürgerliche Mädel Anna schwängert, sie aber nach der Totgeburt ihres Sohnes verlässt, um Komponist zu werden und weitere Damen zu erobern. Doch in dem 1908 erschienenen Werk geht es auch um den aufkeimenden Antisemitismus, um diverseste Ausprägungen des Judentums, um Sozialismus und Konservativismus - kurz um Politik schlechthin. Es ist Slupetzky und Regisseurin Maria Happel zu danken, dass auch diese Aspekte beleuchtet werden, ohne dabei je plump im Vordergrund zu stehen. Denn Maria Happel - sie wirkt auch mit und leitet die Aufführung quasi vom Klavier aus - hat Schnitzler eine radikal-brillante Frischzellenkur verpasst, die unter die Haut geht. Hochmusikalisch (toll der von Happel komponierte und von ihr wie einigen Schauspielern umgesetzte "Soundtrack"), dabei atmosphärisch dicht und federleicht läuft das Geschehen in Peter Loidolts schönem, mit verschiebbaren Türen arbeitenden Bühnenbild ab. Und
Happel hat Schauspieler allererster Güte zur Verfügung. An der Spitze Manuel
Rubey als Georg von Wergenthin, der sich mit seiner sehr berührenden
Darstellung des stets lavierenden, emotional ambivalenten Barons in die erste
Liga spielt. An Rubeys Seite gibt die wunderbare Katharina Straßer eine extrem
bodenständige, sehr zeitgemäße Anna und zeichnet dabei noch ein starkes
Frauenschicksal. Ausgezeichnet auch Toni Slama als Annas Vater, David Oberkogler als deren Bruder, Paul Wolff-Plottegg als feingeistiger Arzt, Johanna Arrouas als Sozialistin, Ruth Brauer als Salondame, Rainer Frieb als deren Vater, Michael Pöllmann, Karin Kofler, Alexander Rossi, Dirk Nocker und Marianne Nentwich in einer Doppelrolle. Schnitzler vom Feinsten.
Barbara Petsch, "Die Presse" vom 12. 7. 2010: Gutes Theater kann so einfach sein. Stefan Slupetzky, Erfinder des Lemming-Kommissars, hat den Roman für das Theater Reichenau faktisch neu erschaffen. Knallhart prallen die Kontrahenten aufeinander, fast könnte man vergessen, dass dieses Buch vor allem für seine Lovestory bekannt ist. Maria Happel, die im Vorjahr Doderers "Strudlhofstiege" im Südbahnhotel am Semmering herausgebracht hat, sorgt indes dafür, dass keine Emotion fehlt. (...) Erstklassig geführte Besetzung, perfekt sitzende Dialoge, atemlose Spannung und keine Einfälle. Der Zuseher muss somit nicht nachdenken, ob eine Idee gescheit oder blöd ist, und wird dadurch nicht vom Stück abgelenkt. Die Musik und die minimalistisch deutlichen Dekors Peter Loidolts (Pfauenfedern, eine Tür) sind weitere Reize der packenden Aufführung.
"Niederösterreichische Nachrichten" vom 14. 7. 2010: Die letzte Produktion dieser Saison widmet sich Arthur Schnitzler, dessen einzigen Roman Stefan Slupetzky ganz wunderbar in eine adäquate Bühnenfassung übertragen hat. Rund um die Liebe zwischen einem Aristokraten und einem Wiener Mädel (grandios: Manuel Rubey und Katharina Straßer), die längst nicht nur an einer Totgeburt scheitert, wird vor allem der Antisemitismus beleuchtet, wie er in Wien um 1900 herrschte. Was Roman – und Stück – auszeichnet, dass alles Politische sich in den zwischenmenschlichen Konflikten widerspiegelt und so für alle nah und greifbar wird. Regisseurin Maria Happel hat ein überwältigend gutes Ensemble zur Verfügung, in der keine Geste falsch, kein Ton daneben und keine Rolle falsch besetzt ist. Fazit: Ein großartiger Schnitzler exzellent dramatisiert und noch besser gespielt.
Hilde Haider-Pregler, "Wiener Zeitung" vom 13. 7. 2010: Vordergründig geht es um eine Liebesgeschichte ohne Happyend, deren Umfeld jedoch mindestens ebenso viel Aufmerksamkeit verdient. Wie in einem Kaleidoskop ersteht in Gesprächen über Kunst, Politik, Antisemitismus und (Fassaden-)Moral ein vielschichtiges und personenreiches Bild der Wiener Fin-de-Siècle-Gesellschaft. Wird dies zugunsten der Lovestory zwischen einem komponierenden jungen Baron und einer Bürgerlichen vernachlässigt, ist der Absturz ins Sentimentale vorprogrammiert. Stefan Slupetzky hat in seiner dreiaktigen Bühnenfassung für die Reichenauer Festspiele diese Gefahr geschickt umschifft und das schier Unmögliche möglich gemacht: Er wird sowohl beiden Ebenen des Romans als auch den Anforderungen des Theaters gerecht. Und Alleskönnerin Maria Happel, die nicht nur für Regie, Komposition und musikalische Leitung verantwortlich zeichnet, sondern auch am Klavier präsent ist, holt aus der Spielvorlage heraus, was sich im Rahmen der technisch begrenzten Möglichkeiten nur herausholen lässt. Peter Loidolt trägt mit einem ästhetisch geglückten und zugleich funktionalen Bühnenbild das Seine zum Gelingen der Vorstellung bei. Wie aus alten Fotos treten die Darsteller in ihren eher zeitlosen Kostümen (Erika Navas) aus verschiebbaren, Szenenwechsel signalisierenden Türrahmen heraus. Alles in allem: Ein dem genius loci von Reichenau gewidmeter Theaterabend, an dem es fast nichts auszusetzen gibt.
Ewald Baringer, "Krone" online vom 10. 7. 2010: Dieser "Weg ins Freie" scheint von den diesjährigen Festspielproduktionen in Reichenau die überzeugendste, weil stimmigste zu sein.
Thomas Gabler, "Krone" Printversion vom 11. 7. 2010: Fadesse und Phrasendrescherei!
Margarete Affenzeller, "Der Standard" vom 11. 7. 2010: Die Inszenierung bleibt eine langweilig abgespulte Nacherzählung, die historisch abgeschlossen bleibt.
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