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Rausch der Verwandlung

(nach dem Roman von Stefan Zweig)

Bühnenfassung: Stefan Slupetzky - Regie: Beverly Blankenship - Bühne: Peter Loidolt - Kostüme: Erika Navas - Licht: John Lloyd Davies - Musik: Peter Kaizar.

Mit: Regina Fritsch, Marianne Nentwich, Sylvia Lukan, Toni Böhm, Sascha Oskar Weis, Michael Dangl, Jürgen Wilke, Christoph Zadra, Tamara Metelka, Alexander Lhotzky, Hannes Gastinger

Barbara Petsch, „Die Presse“ vom 10. 7. 2006:

Stefan Slupetzky, Autor, Illustrator, Wiener, Jg. 1962, hat eine einleuchtende, erfinderische szenische Fassung gemacht: mit zwei Erzählern, die wunderbar das hundsgemeine goldene Wiener Herz verkörpern (Alexander Lhotzky, Hannes Gastinger). Beverly Blankenship liefert eine ihrer besten Inszenierungen unter den Projektionen des Reichenau-Intendanten Peter Loidolt (Bühne) mit einer trübe glimmenden alten Bogenlampe im Bühnenhintergrund.

Regina Fritsch brilliert als Postfräulein Christine Hoflehner und muss endlich einmal fast gar nicht die keifende Megäre sein. Sylvia Lukan als reiche Tante, Marianne Nentwich als Christines Mutter und böse Society-Lady, Sascha Oskar Weis als Lehrer und als Mitglied der Jeunesse-Dorée, Tamara Metelka als intrigante Carla und als Christines Schwester Nelly, Christoph Zadra als kalter Opportunist, der Christine fallen lässt, nachdem er ihre Herkunft erfahren hat - und ganz besonders Jürgen Wilke als kongenialer britischer Aristokrat sorgen für feines psychologisches Theater, das dennoch nicht altmodisch wirkt (...)

Alles in allem: eine spannende und exzellent aufbereitete Geschichte, welche subtil und farbenreich ihren wahren Hintergrund erhellt: die Verzweiflung und Desillusionierung Zweigs, der 1942 den Freitod wählte.

 

Peter Jarolin, Kurier vom 10. 7. 2006:

In Reichenau ist heuer die große Tragödie daheim. Und das wirklich große Welttheater.

Denn mit Stefan Slupetzkys kluger Dramatisierung von Zweigs Romanfragment ist den Festspielen wieder ein echter Coup gelungen. Ein Theaterabend, der unter die Haut geht, der neben fein gezeichneten Psycho-Studien auch sozial- und gesellschaftskritische Dimensionen anzubieten hat. Es führt kein Weg mehr zurück in das erbärmlich biedere Postamt in Klein Reifling nahe bei Krems, wo Postfräulein Christine ihr Leben vergeudet hat. Ein einziges Mal hat auch sie eine andere Welt gesehen. Das Leben der bornierten, oft auch aus Kriegsgewinnlern bestehenden Upper-Class im Luxushotel in den Schweizer Alpen, wo der Champagner in Strömen floss, wo Geld nur bedrucktes Papier war, wo das Mädchen dank ihrer reich verheirateten Tante (köstlich: Sylvia Lukan, brillant: Toni Böhm als kauziger Gatte) als Christiane van Boolen für kurze Zeit glücklich war.

Doch auf den von Zweig und Slupetzky beschworenen Rausch der Verwandlungfolgt die Katerstimmung der tristen Zwischenkriegszeit, der sozialen und finanziellen Not. Seinem Schicksal kann man nicht entrinnen. Nicht im Leben und schon gar nicht auf der Bühne, auf der Ausstatter Peter Loidolt mit leicht verschiebbaren Zwischenwänden für stimmige Tableaus sorgt.

Gnadenlos, extrem präzise und in großer atmosphärischer Dichte führt auch Regisseurin Beverly Blankenship (stark die Musik von Peter Kaizar) ihre Heldin ins Verderben. Ihre Helfer sind dabei zwei von Slupetzky eingeführte, so genannte Schicksalsfiguren (gut: Alexander Lhotzky und Hannes Gastinger), die als Erzähler fungieren und auch die dramatischen Weichen stellen.

Ein ideales Ambiente für die grandiose Regina Fritsch, die als Christine alle Facetten dieser lebenshungrigen Frau - Christines letzter Ausweg liegt in Diebstahl oder Selbstmord - sichtbar macht. Ihr Partner im Untergang ist der famose Michael Dangl als arbeitsloser Kriegsheimkehrer Ferdinand. Die Inkarnation eines schuldlos Gescheiterten, ja vielleicht eines künftigen Revolutionärs.

Auch die große Marianne Nentwich, der rührende Sascha Oskar Weis sowie Christoph Zadra, Tamara Metelka (beide stark) und Jürgen Wilke sorgen für ein Theaterfest.

 

Daniela Strigl, Der Standard vom 11. 7. 2006:

(...) Dass Beverly Blankenships Inszenierung von Stefan Zweigs Rausch der Verwandlung ein anderes Kaliber hat, klärt gleich die erste Szene: Man hört Fliegengesumm, da steht ein Schreibtisch, da amtiert die Postassistentin Christine Hoflehner im Postamt von Klein-Reifling, wo ein Bleistift eine Woche dauert und ein Beamtenleben halt ein Leben, flankiert von zwei geisterhaft unsichtbaren Erzählern oder Schicksalsboten (Alexander Lhotzky, Hannes Gastinger).

Stefan Slupetzky hat den um 1930 entstandenen Roman aus Zweigs Nachlass konzis dramatisiert, die maßvoll ironische Regie entschärft alles Betuliche und Schwärmerische. Wie bei Lulu geht es auch hier ums Geld, um den gesellschaftlichen Aufstieg durch Erfolg am Heiratsmarkt. Christine, die als Gast ihrer reichen Tante im Schweizer Kurhotel die Luft der großen Welt atmen darf, ist nah dran. Als man jedoch ihre Herkunft enttarnt, sinkt ihr Marktwert rapid, das grandiose Alpenpanorama (Bühne: Peter Loidolt) verengt sich wieder zur Amtsstube (...)

Der leichte Tempoverlust im letzten Akt wird durch ein prächtiges Ensemble wettgemacht: Regina Fritsch als das unzufriedene Aschenputtel, Michael Dangl als ihr krimineller Erwecker, außerdem Marianne Nentwich, Sylvia Lukan und Toni Böhm. Man staunt: der als altmodisch verrufene Stefan Zweig liefert das aufregendere Theater.

 

Lona Chernel, Wiener Zeitung vom 10. 7. 2006:

Im Auftrag der Festspiele Reichenau schuf Stefan Slupetzky eine Bühnenfassung von Stefan Zweigs mit Unterbrechungen über mehrere Jahre entstandenem Roman Rausch der Verwandlung. Den Titel gab diesem übrigens nicht Zweig selbst, sondern der Herausgeber Knut Beck. Slupetzky fügte zwei Figuren ein, Konrad (Alexander Lhotzky) und Alois (Hannes Gastinger), die – einem griechischen Chor gleich – das Schicksal vertreten, erzählen und kommentieren. So schwankt das Ganze ein wenig zwischen Aischylos und Horváth, wobei letzterer in Beverly Blankenships an sich sehr spannender Inszenierung, besonders im zweiten Teil, unübersehbar grüßen lässt.

Das Ereignis des Abends ist Regina Fritsch, die einen vom ersten Augenblick an in ihren Bann zieht und nicht mehr loslässt. Hervorragend neben ihr Michael Dangl als revoltierender Kriegsgeschädigter. Wunderbar Marianne Nentwich und Jürgen Wilke, Sylvia Lukan, Toni Böhm und Sascha Oskar Weis. Die Bühnenbildlösung von Peter Loidolt signalisiert raffiniert, wie man Menschen den Blick und den Zugang zu dem, was ihnen an Glück zusteht, verbauen kann.

Spannend, erschütternd.

 

Ewald Baringer, "APA" vom 9. 7. 2006:

Stefan Zweigs "Rausch der Verwandlung" in der Bühnenbearbeitung von Stefan Slupetzky, die gestern, Samstag, Abend im Theater Reichenau Premiere hatte, ist der vorläufige Höhepunkt des diesjährigen Theaterfest NÖ. Der Regisseurin Beverly Blankenship ist eine psychologisch einfühlsame, dramaturgisch spannende Inszenierung zu verdanken, wie man sich bereits in der Vorpremiere überzeugen konnte (...)

Ein unerwartetes Happy-End, moralisch wunderbar unkorrekt, dem unmittelbar bevorstehenden Fiasko im letzten Moment ein Schnippchen schlagend. Ideal passt Peter Loidolts flexibles Bühnenbild, kongenial Peter Kaizars stimmungsvolle Musik - insgesamt wieder einmal eine Reichenauer Sternstunde!

 

Thomas Jorda, "NÖN" vom 15. 7. 2006:

Dramatisierungen haben den Vorteil, dass man darüber matschkern kann; irgendwem fehlt immer irgendwas.

Der Dramatisierung von Stefan Slupetzky fehlt hingegen nichts. Sie ist bei größter Zurückhaltung in den Effekten von äußerster Wirksamkeit und erzählt Stefan Zweigs dramatische Geschichte des armen Postfräuleins, das sich nach einem Besuch in der großen, reichen Welt in seiner kleinen, armen nicht mehr zurechtfindet, ebenso behutsam wie effektvoll.

Zum Gelingen der Produktion trägt aber die sorgfältige Inszenierung von Beverly Blankenship ebenso bei wie das klare Bühnenbild Peter Loidolts und die großartige Leistung des Ensembles.

Regina Fritsch oszilliert präzis zwischen Autismus und Lebenslust, Michael Dangl hat als Kriegsversehrter eindrucksvollen Verlierer-Charme. Alexander Lhotzky und Hannes Gastinger sind packende Erzähler.

FAZIT: Berührendes und sehr feines Theater, ein eindrucksvolles Erlebnis.

 

Thomas Gabler, Kronen Zeitung vom 10. 7. 2006:

Premiere reiht sich bei den Festspielen Reichenau 2006 an Premiere. Ein Frauenleben stand mit Stefan Zweigs Rausch der Verwandlung am dritten Abend im Mittelpunkt - und eine große Burgschauspielerin dazu! Denn Regina Fritsch schlüpft als Postfräulein in den grauen Kittel der Bescheidenheit. Und erntet Jubel.

(...) Jung, aber doch gealtert, von Alpenglühen Champagner und ungewohnter Leichtigkeit des Seins kurz belebt wirkt Zweigs Romanfigur - das spielt die Fritsch mit ihrer natürlichen Wandlungsfähigkeit perfekt. Sie charakterisiert, martert sich, schwelgt kurz im Glücklichsein, leidet als Opfer eines dummen, bornierten Streiches der Reichen und findet letztendlich an der Seite Michael Dangls als Kriegsveteran mit politischem Durchblick einen Weg der Selbstbefreiung: im Ungewissen mit den Quartalsgeldern oder im Freitod mit der Militärpistole. Stefan Zweigs zu Lebzeiten unveröffentlichtes Fragment lässt das offen - wie es auch Regina Fritsch und Michael Dangl nach intensivem (Liebes-)Spiel offen lassen müssen.

Stefan Slupetzkys Version stellt dem kleinen Fräulein zwei unsichtbare Schicksalsfiguren (Alexander Lhotzky, Hannes Gastinger) zur Seite: Auguren, die das Werden der Geschichte beäugen zwischen Schadenfreude und Mitgefühl (...)

Selbst wenn Romanadaptierungen wie diese nicht immer überzeugen können: Zweigs 125. Geburtstag wurde jedenfalls gebührend gedacht.

 

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