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Kon Tiki - eine Rezension

(aus "1001 Buch" 1/2001)

 

Thor Heyerdahl: Kon Tiki - ein Floß triebt über den Pazifik

 

Apropos: Wussten Sie vom Steingeld auf der mikronesischen Insel Yap? Diese Scheiben sind so schwer, dass sie von mehreren Männern mit Stangen getragen werden müssen. In den sieben oder acht ‚Beach Resorts’ auf der Insel wird das Steingeld als Zahlungsmittel leider nicht akzeptiert. Dafür die weibliche Nationaltracht: Auch heute noch ein schlichtes ‚Oben Ohne’. Ehrlich! Was? Momenterl – Flüge, Flüge ... ach ja. Mittwoch und Sonntag, von Manila aus. Online buchen? Selbstverständlich. Nur ein Mausklick ... auweh, daneben! ‚Latimeria chalumnae’ ein 400 Millionen alter Quastenflosser. Der ist noch immer nicht ausgestorben! Aber das wissen die Forscher schon seit 1938 ... Klick: Der Popocatepetl spuckt schon wieder Feuer. Tolle Bilder ... Klick: Eiswüste unter blauem Himmel. Der Süpol ... Klick.

 

Der Mond ist betreten, die Erde erforscht. Länder und Ozeane sind vermessen, Fauna und Flora katalogisiert. Es gibt keine hintersten Winkel mehr, wir haben die Welt ihres Arsches beraubt. Als Projektionsfläche für unsere Neugierde bieten wir uns nur noch selbst an, unsere unausgeloteten seelischen Abgründe. Oder das Virtuelle, was im Grunde dasselbe ist. Die Welt ist ein abgewohntes Haus, eine leergefressene Vorratskammer der menschlichen Phantasie.

 

Aber es gab sie, die großen Geheimnisse, und es gab die verwegenen Männer und Frauen, die dem noch Unbekannten und seinen Gefahren entgegengesteuert sind. Thor Heyerdahl, 1914 in Norwegen geboren, ist zum Inbegriff des letzten Abenteurers geworden, und sein Buch ‚Kon Tiki’ legt Zeugnis von seiner berühmtesten und waghalsigsten Expedition ab.

 

Nachdem Heyerdahl an der Universität von Oslo Biologie und Geographie studiert hatte, begab er sich mit 23 Jahren auf die polynesischen Marquesas – Inseln, um zu erforschen, wie und woher einst pflanzliches und tierisches Leben auf diese Inseln gelangt war. Aber schon bald wandte er seine Aufmerksamkeit den Menschen selbst zu, den Polynesiern und dem ungeklärten Rätsel ihrer Herkunft.

Schon hier beginnt der Zauber des Buches zu wirken – enspinnt sich doch ein detektivisches Puzzlespiel, eine spannende Suche in der mythenumwobenen Vorzeit der Insulaner, die so gar nichts mit trockener Wissenschaft zu tun zu haben scheint. Ein geheimnisvoller alter Eingeborener, der von Tiki berichtet, dem Sohn der Sonne, dem Häuptlingsgott, der die polynesischen Vorväter einst von weit hinter dem Meer auf die Inseln gebracht hat. Die mächtigen Steinbilder im Urwald, die Heyerdahl sofort an südamerikanische Skulpturen erinnern, an Reste einer lange ausgestorbenen Indianerkultur. Die steinernen Stufenpyramiden von Tahiti und Samoa, welche wieder jenen in Peru entsprechen.

 

In den kommenden Jahren nimmt eine Theorie Gestalt an, die sich an dem Tag zur Gewissheit verdichtet, als Heyerdahl in den Legenden der Inkas von einem verschwundenen peruanischen Volk liest, dessen oberster Priester und Häuptling den Namen Kon-Tiki, also Sonnen-Tiki trug. Nun scheint es sicher: Polynesien ist von Südamerika aus besiedelt worden.

 

Doch Heyerdahls Theorie wird nicht ernst genommen. Die anderen Wissenschaftler verlachen ihn, und das aus folgendem Grund: Die alten Kulturen Südamerikas kannten nur einfache Balsaflöße, und bis zu den Südseeinseln sind es 8000 Kilometer. 8000 Kilometer Pazifischer Ozean. Eine kindische Vorstellung, diese Strecke auf ein paar Baumstämmen durchmessen zu wollen. Heyerdahl ist kindisch und dickköpfig genug. Er beschließt, die Reise selbst zu wagen, um seine Theorie zu untermauern.

Die Suche nach geeigneten Balsabäumen im regengepeitschten, von Schlangen und Kopfjägern bewohnten Dschungel Ecuadors, die ungezählten bürokratischen Hürden, die es zu bewältigen gilt, den Bau des originalgetreuen Inkafloßes im Kriegshafen von Lima, all das erzählt Heyerdahl gleichermaßen spannend wie augenzwinkernd. Und als die ‚Kon Tiki’ am 28. April 1947 mit ihrer sechsköpfigen skandinavischen Besatzung und einem Papagei in See sticht, ist sich die Fachwelt einig: Keiner, jedenfalls keiner der Männer wird jemals lebend wiederkehren.

 

Nun, wir wissen es: Sie haben alle überlebt. Und mehr als das. Nach einhunderteintägiger Fahrt quer über den Pazifik feierten sie ihren lange erhofften Triumph. Der Weg dahin, gespickt mit Gefahren, vor allem aber mit skurrilen, magischen, seltsam berührenden Naturerlebnissen, spiegelt weniger einen Kampf gegen die Natur, als ein Leben mit ihr und durch sie wieder. Nie gesehene Meerestiere, glitzernde nächtliche Ungeheuer, mächtige Wale, fliegende Fische, die schon zum Frühstück aufs Deck der ‚Kon Tiki’ springen, stets ist das Floß von jenem pulsierenden Leben umgeben, das auch das Buch durchströmt. Als die sechs Männer am 7. August auf dem gefürchteten Raroiariff Schiffbruch erleiden und sich unbeschadet auf eine der dahinter liegenden, unbewohnten Koralleninseln retten können, ist ihre Freude größer als die des Lesers. Ihm bleibt die letzte, egoistische und gleichwohl unerfüllte Hoffnung, sie mögen hier nie gefunden werden, damit ihr aller Traum kein Ende hat.

 

Es mag 25 Jahre her sein, dass ich ‚Kon Tiki’ zum letzten Mal gelesen habe. Doch es hat seinen Zauber nicht verloren. Jetzt, im 3. Jahrtausend, bin ich mit der gleichen Mischung aus Wehmut und aufgeregter Spannung darin versunken. Ein Jungenbuch? Mag sein. Vielleicht sogar vorpubertär, quasi praeonanesk. Jeder neurotischen Selbstreflexion entkleidet, ist es durchdrungen vom kindlichen Geist unbändiger Neugierde, vom alten Traum, fröhlich und tapfer und offenen Auges die Welt zu erkunden.

 

Thor Heyerdahl, der auch noch in späteren Jahren eine Reihe waghalsiger Expeditionen unternahm, ist heute 86 Jahre alt und von ungebrochener Vitalität. Er lebt auf Teneriffa und widmet sich neben ausgedehnten Vortragsreisen der Ausgrabung und Erforschung vorzeitlicher Pyramiden.

 

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