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Mei, liab!

(Rede zur Verleihung des Dixi-Kinderliteraturpreises 2003 an Kathrin Steinberger)

 

Das Kunsti des Kinderlbüchleins

 

Überhaupt ist die deutsche Sprache so reich an Verkleinerungen wie keine andere. Die putzigen Endungen -lein und -chen (zumeist mit einem kleinen Schnörkel, einem Umaut in der Wortmitte kombiniert) gehören in jeden deutschen Haushalt, das legendäre –li in jeden helvetischen. Vorarlberg und Kärnten als österreichische Pufferzonen haben das –le abonniert, die Endungen –l, –i und –erl führen den aufmerksamen Linguistiker schließlich gegen Wien hin. Der Mann wird also zum harmlosen Männlein, Männchen, Mandale, Mandl, Mandi oder Manderl, die Frau wird zum süßen Fräulein, nur für den kleinen Wald, den Waldi, wird sie zum Frauchen, Frauli oder Frauerl.

Besonders in Österreich, und hier vor allem in Wien werden die Dinge gern verkleinert, allen voran solche, die unmoralisch, ungesund oder gar tödlich sind. Wahrscheinlich will man ihnen einfach den Schrecken nehmen: „Naa, nix Herzkasperl … naa, Schlagerl woars a kans. A Pantscherl hod er ghobt, der Sepperl; mit der Liesl, dem Flitscherl von Wickerl hod er titschgerlt. Und dann, nach zwölf Krügerln, hod der Wickerl dem Sepperl den Feidl ins Beuscherl gsteckt, und der hod a Bankerl grissen, also quasi die Patscherln gstreckt …“

Österreich ist ja auch klein. Die wenigsten Österreicher wissen, was ein Diminutiv ist, aber sie verwenden sie ihn oft und mit Begeisterung. Die Liebe zu allem, was klein ist, reicht hier so weit, dass selbst das Kleine noch verkleinert wird. Ein Kind wird zum Kinderl, ein Zwerg zum Zwergerl, ein Knöd zum Knöderl und so fort. Ja, die Österreicher lieben das Kleine von Herzen, aber – und das ist die Crux – sie respektieren selten, was sie lieben; das hat schon der Sigmund – pardon – der Mundl Freud erkannt. Napoleon Bonaparte hätte in Österreich kein Leiberl gerissen; höchstens als Hofnarr oder Praterattraktion: Aus Paris mit kurzem Hoserl: Partel Poldi, das Franzoserl!

 

Warum nun diese Einleitung?

Sie wissen ja, wie das ist: Man kommt mit jemandem ins Gespräch, im Kaffehaus, beim Wirten oder sonst wo, wechselt ein paar Worte, aber nicht zu viele, ehe die unvermeidliche Frage gestellt wird: „Und was machen Sie beruflich, wenn ich fragen darf?“ Wenn Ihre Antwort beispielsweise „Softwaretechniker“ ist, dann wird ihr Gegenüber nicken und meinen: „Ah ja, da kenn ich auch einen …“ oder „Ah ja, ich auch“. Wenn Sie sagen: „Tischler“, bekommen Sie ein „Wirklich! Tischler! Na das ist ja doch wenigstens noch ein ehrlicher … muss man noch anpacken … was in den Händen …“ zu hören. Wenn Sie als Beruf Schriftsteller angeben, werden Sie mit einem „Und? Kenne ich etwas von Ihnen?“ belohnt. Aber wehe, wehe, Sie sagen: „Ich bin Kinderbuchautor“ oder „Ich schreibe Kinderbücher“. Sie können mir glauben: Die unausweichliche, durch keine Macht dieser Welt zu verhindernde Reaktion Ihres Gesprächspartners wird folgende sein: Er wird die Mundwinkel ein bisserl hochziehen, wird den Kopf ein bisserl schief halten und wird ein bisserl die Hände zusammen schlagen. Er wird wie ein Erwachsener aussehen, der ein Kleinkind imitiert, das gerade seine erste Eisenbahn geschenkt bekommt. Und dann wird er ein herzhaftes „Mei liab!“ hervorstoßen.

Ich habe schon alles mögliche versucht, um dieser Reaktion zu entgehen. 

„Und was machen Sie beruflich, wenn ich fragen darf?“ 

„Ich, äh, bin so im Künstlerischen …“ 

„Und was genau?“ 

„Ja, also, Schriftsteller …“ 

„Und? Kenne ich etwas von Ihnen?“ 

„Nun, ich weiß nicht …“ 

„Na, was schreiben’S denn für Bücher?“ 

„Also jetzt gerade einen Roman …“ 

„Und davor?“ 

„Also, ich habe eine ganze Reihe Kinderbü…“ 

„Mei liab!“

Mittlerweile bin ich dazu übergegangen, mich als Buchmacher vorzustellen. Das ist nicht gelogen, aber das Befremden, das ich damit auslöse, ist mir meistens lieber als die übliche plumpe und respektlose Vertraulichkeit.

 

Es hat wahrscheinlich etwas mit Erziehung zu tun, mit Erziehung über viele Generationen hinweg. Kinder werden bei uns nicht ernst genommen, weil wir selbst schon als Kinder nicht ernst genommen worden sind. Jenes gütig-überlegene Lächeln, das man den lieben Kleinen hierzulande zu schenken pflegt, erinnert mich immer an dieses Gedicht: „Mein Büdelein ist noch so klein, ist noch so dumm, das arme Wum! Es liegt noch in der Wiegen und muss das Flaschi kriegen. Es macht noch in die Hos! Ätsch ätsch, und ich bin schon groß!“ Ich denke, wem die jahrelange Entwürdigung in den Knochen steckt, der bleibt selbst stecken, in der Pubertät nämlich. Als kindisch zu gelten, zählt bei uns zu den schlimmsten Demütigungen, die die Beleidigungspalette zu bieten hat. Und deshalb wird auch Kultur für Kinder nicht ernst genommen. Man will sich doch nicht lächerlich machen, man will doch nicht den Eindruck erwecken, dass man Dinge wie Kindertheater, Kinderfilme, Kinderliteratur wirklich und wahrhaftig zu schätzen weiß. Am einfachsten wäre es, sich völlig davon abzuwenden, um nur ja nicht in den Geruch des Infantilen zu kommen. Aber auch damit kommt man hierzulande nicht weit. Nur allzuleicht gilt man bei uns als Bösewicht, wenn man das Kleine, Kindliche nicht trotzdem liebt. Es ist die Quadratur des Kreises, und die war in einem Land, in dem man auch „ein bisserl schwanger“ sein kann, bekanntlich nie ein Problem. „Mei, liab“, sagt man eben und geht mit mildem Lächeln seiner Wege.

 

Die Kinderbuchabteilung ist das Minimundus jedes Buchgeschäfts. Hier ist alles klein und süß, „mei liab“ eben; in diesem kleinen Abbild der Welt gibt es keine Knallerbsen irgendwo hinten zwischen Tempelberg und World Trade Center; unter dem nächtlichen Riesenrad flanieren keine winzigen Nutten und die Prager Häuser sind so niedlich, dass man sich beim Fenstersturz höchstens das kleine Zecherl verrenkt. Klar, man muss schon Acht geben auf die verletzlichen Seelchen unserer Kleinen, vor allem aber muss man dem wachsamen Blick ihrer Eltern Rechnung tragen, denn sie sind es schließlich, die die Rechnung im Buchladen zahlen. Und für sie zählt ausschließlich eines: Sie wollen ihren Kindern eine heile Welt schenken, die sie selbst schon lange verloren haben. Das ist legitim, und es steigert den Umsatz der Buchhändler, solange die Eltern kriegen, was sie wollen, und es steigert den Absatz der Verlage, solange die Buchhändler kriegen, was sie wollen, und das wieder steigert die Herausforderung an die sogenannten Kreativen, noch irgendwo irgendwie ein kleines bisserl kreativ zu sein. Denn auch die heile Welt ist eine Modesache: Manchmal sucht sie der Kunde in grauer Vorzeit. Dann tritt der Sales Manager oder der Marketing Consultant, also einer der Bilanzniks des Verlages an den Autor heran und sagt: „Könnten’S uns net was mit Dinosauriern machen? Aber net zu wild, gell, sondern so liabe Dinos, Sie wissen schon ...“ Oder Zauberlehrlinge sind en vogue. Oder Pferderln. Nein, Pferderln gehen eigentlich immer ... Das ganze heißt Markt, manchmal sogar freier Markt, wahrscheinlich, weil sich dieser Markt die Freiheit herausnimmt, der Kunst ihre Grenzen zu setzen: Die Kunst kommt nicht mehr von Können, sondern von Dürfen, sie wird also mehr und mehr von der Kunst zum Dunst.

 

Ja, früher, als ich quasi noch auf der anderen Seite stand, auf der des Konsumenten nämlich, da habe ich mir immer gedacht, dass alle Kinderbücher von unbedarften Tanten (ich hab sie mir immer mit Lockenwicklern vorgestellt) geschrieben werden, die glauben, dass die ganze Welt ganz bald ganz gut wird, wenn man sie den wehrlosen Gschrapperln nur schon recht früh als Zwergerlparadies präsentiert, während für die Jugendbücher eine Schar von bebrillten, schmallippigen Psychologen verantwortlich zeichnet.

Ha, die Jugendbücher! Sie sind mir immer vorgekommen wie die Diabetikerschokolade im Supermarkt. Ich habe nie eines gelesen, jedenfalls als Jugendlicher nicht. Was die Verpackung verspricht, ist da niemals drin, habe ich mir immer gedacht, das Zeug hat erst mal hunderte Pädagogenkommissionen und Kirchengremien passieren müssen; das liest sich sicherlich wie das Wort Scheiße, als Sch… mit drei Punkten geschrieben, und wenn da was von Sex drinsteht, dann höchstens mit dicken, schwarzen Balken drüber, entschärft, gezähmt und zensuriert. Warum? Warum ich das dachte? Ganz einfach: Sonst wären es doch keine Jugendbücher, die, mit einem Jugendbucheinband versehen, in der Jugendbuchabteilung des Buchladens darauf warten, von Jugendlichen gekauft zu werden. Ich meine, dann wären es einfach Bücher, Literatur wie jede andere auch.

Oder heißen sie Jugendbücher, weil es darin um Jugendprobleme geht? Um Dinge wie Rassismus, Krankheit oder Liebe, also um Themen, die uns Erwachsene schon lange nichts mehr angehen ...

Oder heißen sie Jugendbücher, weil sie mal wieder belehrend und moralisierend sind, weil sie mal wieder einen Erziehungsauftrag erfüllen (je pädagogischer, desto hinterfotziger natürlich)?

Oder sind es Jugendbücher, weil sie plump und anspruchslos, mit einem Wort: so schlecht geschrieben sind, dass sie jeder Kretin – und die meisten Pubertierenden sind ja, wie wir wissen, Kretins – verstehen kann?

Je länger es her ist, dass ich die Seiten gewechselt habe und vom Leser zum Schreiber geworden bin, desto weniger glaube ich, dass es überhaupt Jugendbücher gibt. Ein Teil der jährlichen Buchproduktion wird halt mit diesem Etikett versehen, weil unser aller Gott, der Markt, seine Schäfchen sortiert und in Zielgruppen ordnet. Da müssen dann eben auch die Jugendlichen gesondert bedient werden,  sonst hätte der Markt eine Lücke, und das würde die heile Welt der Bilanzniks mal wieder gehörig durcheinander wirbeln.

 

Habe ich jemanden bei meinem Rundumschlag vergessen? Ja, natürlich, die Journalisten und Kulturredakteure! Bei ihnen verkümmert die Kinderliteratur zum Topfpflanzerl, das, wenn’s hoch kommt, zwei Tage im Jahr ein bisserl blühen darf: Einmal kurz vor Ostern und einmal kurz vor Weihnachten. Zu diesen Zeiten ist der Markt so hungrig, dass es sogar ein Kinderbuchspalterl im Literaturteil der Zeitungen gibt. Ausnahmen, die die Regel nur bestätigen, finden sich höchstens im Wirtschaftsteil: Wenn’s plötzlich in ganz China knickelbockelt, dann pottert es in den Kassen der Bilanzniks, und es gibt auch mal zwischendurch madonnernden Applaus in den Medien.

 

Da stehen wir also. Ein bisserl belächelt, ein bisserl beschnitten, ein bisserl zurechtgebogen und sehr sparsam gegossen. Mit einem Wort: Bonsais. Kleine brave Bonsais im großen Kulturdschungel.

 

Heute ist aber Dixi Preisverleihung. Und das heißt, dass wir uns hier, wie es so schön heißt, im geschützten Rahmen bewegen. Hier sind wir unter uns und daher in der Überzahl, lauter Menschen, die dem Zauber des Erzählens ihre Achtung erweisen, auch wenn oder speziell weil es sich um die Kinderliteratur handelt. Wir sind hier, um jemanden zu ehren, der gerade erst verseucht und also frisch durchdrungen ist von dieser Kunst, und für den die Magie des Schreibens – ob nun für Kleine oder für Große – noch nicht an der täglichen Nichtachtung, am wöchentlichen „Mei, liab!“ oder am monatlichen Kontoauszug Schaden genommen hat.

Dazu möchte ich Dir gratulieren, und dafür möchte ich Ihnen danken.

 

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