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Radio Bremen Krimipreis 2009

Laudatio von Lore Kleinert

 

Liebe Gäste, liebe Krimifreundinnnen und Freunde,

Erst einmal zu zeichnen und sich mit Kindern zu beschäftigen – das ist ja wirklich kein schlechter Anfang für einen Autor. Stefan Slupetzky hat seine Karriere damit begonnen, Kinderbücher zu illustrieren, und dass er an der Wiener Kunstakademie studiert hat, kam seinem Helden, dem Lemming, später auch mal, im dritten Band, als akribische Ortskenntnis sehr zugute. Weil Buchillustrationen kein so rasches Verfallsdatum haben wie z. B. Karikaturen – die haben ihn zuerst gelockt – war es leichter, so in den Büchern  Fuß zu fassen, und weil es dann an geeigneten Texten fehlte, schrieb Stefan Slupetzky eben auch die Texte selbst und nahm die Bilder dann mit in die Texte, und irgendwann musste er sie nicht mehr dazu malen.

Krimis kamen dann später hinzu – warum? Weil genaue Recherche und ein wohldurchdachter Plot die Phantasie am vollständigen Ausufern hindern, und wer dem Weg des Lemming durch seine Stadt Wien folgt, weiß, dass die Verlockung, alle Regeln über Bord zu werfen und doch hemmungslos auszuufern, groß ist. Und weil ein Krimi sich nicht auf dem alten Kampf zwischen Gut und Böse beschränken sollte, sondern Fragen aufwerfen kann, die unser aller Leben berühren. Das Verbrechen führt immer an den dunklen Rand unserer Existenz, und ein Schriftsteller, der das Verbrechen umkreist und sich ihm nähert, kann den Abgrund dahinter beleuchten, und genau das ist Stefan Slupetzkys Absicht.

In seinem vierten Lemming-Roman geht es um Zorn, Wut,  Empörung, ausgelöst durch etwas, das auch hier niemandem fremd ist, durch Lärm. Der Autor wohnt im Servitenviertel in Wien-Alsergrund, das Viertel ist zur teuren, gefragten Wohngegend geworden und nach einem Dachbodenausbau über ihm, der fünf Jahre dauerte, waren seine Nerven verständlicherweise angegriffen. Stefan Slupetzky ist selbst hier aufgewachsen, in ruhigeren Zeiten, und er konnte seinen eigenen Zorn mit seiner Figur Leopold Wallisch, dem Lemming, teilen, der, wie es der Zufall bzw. der Autor wollte, ebenfalls einen kleinen Sohn bekommen hat – Stefan Slupetzkys Sohn ist jetzt zwei Jahre alt, und die Passagen im Kriminalroman über den Vater und Sohn zeigen, dass ein Krimi durchaus auch von großer Liebe erzählen kann.

Am Anfang dieses Kriminalromans steht also eine Geburt, und am Ende eine Hochzeit – dazwischen steht die zerstörerische Wirkung vom Lärm der Stadt, die ein Betroffener folgendermaßen beschreibt:  

Wenn jemand ohne Ende auf Ihren Lebensnerv eindrischt, wochen-, monate-, jahrelang, dann kommt Ihnen alles abhanden. Die Hoffnung streikt, die Phantasie zieht sich zurück, die Gedanken sind wie amputiert…Dreieinhalb Jahre bebende Wände, Erdstöße, kreischende Luft, Explosionen im Kopf. Motorsägen: Man glaubt, dass es einem das Hirn zerreißt.

Der akustische Wahnsinn der Stadt ist, und wir Leser nehmen lebhaft Anteil, gewaltig und allumfassend und er hat viele Gegner, und der Lemming stößt auf ALF, die Aktion Lärmfrei, die auf ihre ganz eigene Art den Widerstand gegen die Krachmacher organisiert politisch sehr unkorrekt und in Selbsthilfe nimmt man die Dinge in die eigene Hand.  Wie immer bei Stefan Slupetzky begegnet sein zorniger Held allerhand schrägen Gestalten und muss feststellen, dass sich unter dem Wiener Schmäh eine beinharte Schicht von Rücksichtslosigkeit, Gier und sozialer Kälte abgelagert hat; die Groteske erweist sich als brauchbares Brennglas für reale Pleiten der Zivilisation, und Stefan Slupetzky entwirft dafür eine Fülle von einleuchtenden Bildern. Dass viele von ihnen auch mit Tieren ausgestattet sind, Hunden zumeist, friedlichen und unfriedlichen, aber auch Pinguinen, in einem anderen Band, sei hier nur am Rande erwähnt im Universum des Wieners Stefan Slupetzky dürfen sie jedenfalls nicht fehlen.

Solche Bilder stehen mitunter sogar am Beginn, etwa wenn 12 Pinguine einen der ihren betrauern, der erhängt worden ist – eine Herausforderung für den Detektiv Lemming, und vom toten Vogel zum Kunstraub ist es bei Slupetzky nur ein kleiner Schritt.  

Die Herausforderungen des Wiener Großstadtdschungels nimmt der Lemming mit Witz und Wut gleichermaßen an. Die vielen Facetten der Belästigung durch unerwünschte Geräuschkulissen, von Presslufthammerattacken bis zur Kaufhausberieselung, für die Leser fast physisch spürbar, begleiten ihn auf seinem mühsamen Weg zur Lösung des nunmehr letzten Falls, vorerst jedenfalls – Don Quichote gegen die Krachmacher, mit stetiger Betreuung eines kleinen Kindes als besonders angenehmer Zutat.

Die Sympathien sind eindeutig verteilt, doch Lemmings Parteinahme für die geschundenen kleinen Leute beruht auf dem festen Fundament der Ironie, mit Herz und mit Zorn, und sie wird deshalb, ebenso wie sein Vaterglück, das er ja mit seinem Autor teilt, niemals peinlich.  

Vom Fall des Lemmings zu seiner Himmelfahrt, vom seinem Schweigen zum Zorn – Anfang Oktober können wir mit dem Lemming noch mal an die Anfänge seines Wirkens zurückkehren, den Fall des Lemming, diesmal im Kino, und Stefan Slupetzky kann sich nach diesem Krimi-Quartett wieder anderem zuwenden – gelegentlich tritt er ja als Teil der Band „Leviten lesen“ oder mit den „Strottern“ auf oder besingt mit seinem Bruder 152 österreichische Ortsnamen als „Die Slupetzky-Buam“, und auch Drehbücher und Theaterstücke werden ihn beschäftigen, wenn ihm denn der Baulärm Ruhe genug gönnt.

Ich hoffe jedenfalls, dass er dem Kriminalroman auch weiterhin immer mal wieder eine Chance gibt – gern auch ausufernd, mit Bildern, Kindern, Tieren, mit schwarzer Ironie und bösem Blick, und ich freue mich sehr, dass Stefan Slupetzky unser Radio Bremen-Krimipreisträger 2009 ist.

Lore Kleinert, 16. 9. 2009

 

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